Zwei Etagen Holz

28. April 2021, 8:00 Uhr | Jessica Stütz

Im April 2014 tönt ein Knall durch die Wiener Mariahilfer Straße. Eine Gasexplosion lässt die oberen zwei Stockwerke des Eckhauses einstürzen, das Dach ist komplett zerstört. Rauch und Staub quellen durch die umliegenden Straßenzüge. Das Gebäude ist nach der Explosion unbewohnbar. Wenige Wochen später verschaffen sich die Architekten Isabella Wall und Günther Trimmel einen Eindruck von den Überresten des Gründerzeithauses. Eine gleichmäßige, zwei Zentimeter dicke Staubschicht bedeckte die Räumlichkeiten. Überall schlug den Architekten deutlich entgegen, wie plötzlich die Bewohner aus dem Haus flüchteten. „In einer Wohnung stand das Reindl noch auf dem Herd“, berichtet Trimmel. „Es war schon eine sehr merkwürdige Situation“, gibt er weiter zu bedenken. Die Wucht der Detonation versucht Wall zu verdeutlichen: „Massive Wände aus Ziegel haben sich durch die Druckwelle einfach zehn Zentimeter verschoben.“

Trümmer beseitigt

Zu diesem Zeitpunkt waren die Trümmer und der Schutt schon zum Teil beseitigt und einsturzgefährdete Bauteile bereits entfernt. Im Bauteil zur Mariahilfer Straße hin waren das Erdgeschoss und das erste Obergeschoss nur noch ein Torso, auch die Fassade war schwer beschädigt. Besser sah es zur Seitenstraße hin aus. Die Fassade an der Denglergasse war nahezu unversehrt, auch die Konstruktion dahinter war in besserem Zustand. Für die Architekten begann nun eine interessante Phase: Was ließe sich aus der Ruine noch machen? „Es gab mehrere Szenarien“, berichtet Trimmel. „Auch der Abbruch stand zu Debatte. Doch wir konnten aufzeigen, dass man aus diesem Torso etwas Großes, Neues schaffen kann.“ Die Architekten setzten, wie bei allen ihren Projekten, auf Nachhaltigkeit.

Und im Hinblick auf den ressourcensparenden Umgang mit Baustoffen war eine Sanierung positiver zu bewerten als ein Abriss. Doch ein einfacher Wiederaufbau reichte den Planern nicht. Sie setzten vielmehr auf eine strukturelle Verbesserung, eine hohe Wohnqualität und eine sehr gute Energiebilanz. Auch die Wohnfläche wurde deutlich vergrößert. Dies gelang durch das maximale Ausnutzen aller Spielräume wie Erschließungsflächen und Dachgeschossausbau. Das neue Dach hat so wesentlich größere Abmaße als das alte. Doch zunächst begann eine Phase des zähen Ringens um das Bestehen des Hauses, denn die Sanierungskosten schlugen mit über sieben Millionen Euro zu Buche. Doch durch die großzügige Wohnbauförderung der Stadt Wien in Höhe von 4,4 Millionen Euro konnte das Vorhaben beginnen.

Zwei Etagen Holz

Die neue
Fassade strahlt in
altem Glanz. Die thermische Sanierung
sieht man ihr nicht an (Foto: Trimmel Wall Architekten ZT)
Große Fensteröffnungen geben den Blick
über die Dächer
von Wien frei (Foto: Trimmel Wall Architekten ZT)
Holz und Stahl gehen perfekt zusammen (Foto: Trimmel Wall Architekten ZT)

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Komplett dokumentiert

Doch wo fängt man an bei einem Gebäude in diesem Zustand? Was konnte erhalten werden, was musste nicht nur aus statischen, sondern auch aus strategischen Gründen weichen? „Wir hatten zwei große Vorteile“, führt Wall aus, „das Gebäude war komplett dokumentiert und statisch geprüft. Und es gab kaum Vorgaben, die wir beachten mussten.“ Also ließen sich die Planer einiges einfallen, um die Wohnqualität in den neuen Wohnungen möglichst hoch anzusetzen. Sie trugen Teile der Innenhofbebauung ab und öffneten den Bau zu dieser Seite. Der neu gestaltete Hauseingang in der Denglergasse öffnet sich zum Innenhof hin über ein begrüntes Belichtungs-Atrium. Der Innenhof wurde ebenerdig überbaut, um Platz für Allgemeinräume zu schaffen. Die sieben Pflichtstellplätze in der Garage sind alle mit einer Ladestation für Elektroautos ausgestattet. Die Belichtungssituation im Innenhof wurde durch den teilweisen Abbruch der Seitentrakte und das Anheben des Hofniveaus um ein Geschoss stark verbessert. Der Teilabbruch des dritten Obergeschosses übererfüllte die Vorgabe der Stadt, die nur einen Abbruch der Pultdächer vorsah.

Eine Optimierung der Erschließungsflächen konnte durch den Abbruch des einsturzgefährdeten Stiegenhauses erreicht werden. Es wurde ein neues, zeitgemäßes Stiegenhaus mit durchgehender Glasfassade im Innenhof errichtet. Die Planer griffen massiv in die Grundrissgestaltung ein und schnitten die Wohnungen nach den heutigen Bedürfnissen völlig neu zu. Die sanierten Altbauwohnungen sind zwischen 40 und 100 m² groß und auf das erste bis dritte Obergeschoss verteilt. Insgesamt sind im Haus 28 Wohnungen und drei Ladenlokale entstanden.


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